Die Unbekannte

Ich wurde mitten im Prager Frühling geboren und bin aufgewachsen mit Dämonen. Der Prager Frühling wurde kurz nach meiner Geburt wieder zerschlagen und übrig blieb eine triste, graue Lethargie. Es regierten wieder oder noch, die Dämonen der Vergangenheit. Diese setzte sich auch inmeinem Leben fort. Nach anfänglicher Euphorie, denn schön und sonnig war die Welt im April,wurde spätestens mit der Schulzeit diese Welt, wie sie wirklich war. Machtkämpfe um Abiturplätzeund damit Kämpfe um gute Noten, die leider nichts mit der Leistung zu tun hatten, waren an der Tagesordnung. Beliebt waren z.B. Eltern die Ärzte waren, aber auch Kinder mit West-Klamotten,eben Familien, die irgendwelche Beziehungen zu wichtigen Menschen hatten, wie Menschen aus Handwerksberufen oder Menschen aus der Nomenklatura, von denen in meinem Viertel leider sehr viele wohnten. Alexanderplatz heißt der Ort noch heute. Hier spielte sich der größte Teil meiner Jugend ab. Um uns dementsprechend oder trotzdem eine sozialistische Erziehung zuteil werden zulassen, war im Unterrichtsplan nicht nur Staatsbürgerkunde vorgesehen, sondern wir hatten auch ab der 8. Klasse alljährlich ein FDJ-Studienjahr zu absolvieren und dabei bestimmte Stätten sozialistischer Erinnerungs- und Alltagskultur abzuarbeiten. Dazu gehörte der Besuch von Konzentrationslagern in der näheren Berliner Umgebung. Wir waren zwar alle dazu aufgefordert unsere Wünsche zu äußern, aber die Vorschläge, die Aussicht auf Erfolg hatten, kamen dann doch einzig von unserer Klassenlehrerin und unserem Arzt-Sohn. Von Beruf Vaterkind, musste, schon wegen der Verschreibung von Medikamenten, er hofiert werden. Das bedeutete im FDJ-Studienjahr,dass wir drei mal das KZ Sachsenhausen besuchten, anstatt uns auch andere anzusehen. Zur Debatte standen damals Buchenwald und Auschwitz. Ich habe den Schrecken der KZ's damals nur zu gut verstanden, aber der immer gleiche Besuch der Stätte des Grauens, hat das Selbige tief in mir eingepflanzt und ich ertrage es bis heute nicht mehr, mir diese Bilder anzusehen. Immer nur das Grauen betrachten ohne die Funktionsweise erklärt zu bekommen, wie mache ich aus Menschen solche Monster, war mir schlicht zu viel.
Was wir außerdem noch taten, war eine Gerichtsverhandlung sowie das Stahlwerk in Eisenhüttenstadt zu besuchen. Das nun gefiel mir besser. So ein altes Stahlwerk, wo es dampft und glüht, anzusehen, war schon interessant.

Als es dann um das Abi ging, wurden Noten nur noch nach Gutdünken vergeben. Ich wurde so schlecht eingestuft, dass ich mit Ach und Krach eine Lehrstelle fand, die irgendwas mit mir zu tun hatte. Abi hatte ich zwar ehe nicht machen wollen, aber meine Eltern drängten darauf. Der Stress war vorprogrammiert. Wenigstens eine handwerkliche Lehre wäre mir lieb gewesen. Nun, ich bin ja auch weiblich und die Antworten die ich bekam, richteten sich auch an mein Geschlecht. „Da haben wir keine weiblichen Planstellen.“ Gärtner war nur knapp vorbei. Eher bäuerlich. „Aber wenigstens was mit den Händen arbeiten und nicht nur auf einem Bürostuhl herum sitzen“, so dachte ich. Erst ging ich davon aus, dass ich nun die Straßen bepflanzen müsste, aber Baumschulerei beschäftigt sich eher mit der Aufzucht der Pflanzen als mit der Anlage von Grünflächen. Nur war diese Arbeit leider fast ganz ohne Hirn zu bewältigen, außer man wollte sich am Bereich Botanik gut tun, die mich bis dato nicht interessierte. Im Rahmen der Baumschulerei spielten ehe nur Wachstumsbedingungen eine Rolle, weniger die anderen botanischen Merkmale. So habe ich nach der Lehre zugesehen, dass ich weg kam von der Gärtnerei. Damals wäre ich rasend gerne Restauratorin geworden, aber wer hat schon gelernt, was der Traumberuf war? Was war die Alternative? Doch Abitur, da die Suche nach einer neuen anderen Lehrstelle sich als aussichtslos erwies. Ich hatte es im Theater versucht, als Bühnenbildnerin oder Kostümschneiderin. Doch es wurde nichts. So ging ich dann zur Abendschule, aus der ich alsbald wieder raus flog, wegen ungebührlichen Benehmens. Die Abendschule hieß nach Dschirschinski, der der erste Chef des sowjetischen Geheimdienstes war und die Direktorin hatte ein Regal wo wirklich alles von Stalin stand, was je von ihm veröffentlicht worden war. Blieb nur ein Fern-Fachstudium, also ein Studium neben der Arbeit.
Zu meinem Frust kam, dass ich keinen Zugang zur Lesbenbewegung oder auch nur einer Einrichtung für Lesben fand. Später, nach dem Mauerfall, haben viele ehemaligen Kollegen gesagt: „Was, das kanntest du nicht?“ Diejenigen die dies sagten, hatten mir aber während der Mauer nicht die geringste Idee von derartigen Orten gegeben. Im nach hinein dachte ich nur: „Was für gemeine miese Leute. Wußten eher als ich von meiner Homosexualität und haben mich einfach so im Regen stehen lassen. Vielen Dank.“ Damals war ich noch nicht Out. Vielleicht lag es auch daran, wer weiß. Eine Freundin erzählte mir später, dass es auch gar nicht möglich war außerhalb der Kirche eine Lesbengruppe aufzubauen, da die Stasi da ziemlich hinterher war, die Frauen zu drangsalieren.

Knapp 3 Jahre später – 1989 – war es vorbei mit der DDR und ich schöpfte Hoffnung auf andere, neue Möglichkeiten. Die hatte ich wohl und ich trieb mich sehr intensiv in der Linken rum – das heißt, dass ich mehrere Häuser mitbesetzte und pi mal Daumen ca. 10 Jahre in diesen wohnte – aber der Zugang zur Lesbenszene blieb mir aus verschiedenen Gründen versperrt. Die Gründe dafür waren zum Einen meine völlige Unkenntnis der lesbischen Errungenschaften, schräge Diskussionen über Vergewaltiger, die Abschottungsrituale der autonomen Lesbenbewegung gegenüber Männern sowie meine eigene Naivität, die da war: „Ich finde schon eine patente Frau. Wir sind doch jetzt im aufgeklärten Westen.“
Der Zugang erfolgte dann eher über die Uni und zwar konkret über das Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung. Karin Hausen heißt die Dame, die vielen auf intellektueller Ebene den Weg ins Verständnis der Frauenbewegung ebnete. Judith Butler und Gender Mainstreaming waren bis dato bloße Schlagwörter, hier bekamen sie Gesicht, Hand und Fuß.

Kurz darauf erlitt ich eine Krankheit bei der man träge, fett und gefräßig wird. Meine Freundinnen brachen mir weg und ich wohnte inzwischen auch in einer von den Autonomen als Wohnklo bezeichnete Ein-Zimmer-Wohnung, die aber perfekt vom Vormieter saniert worden war. Das bedeutete für mich, dass ich nach der Akkutphase der Erkrankung mir einen neuen Freundinnenkreis aufbauen musste. Zu diesem Zweck, und diesmal bewusst, besuchte ich das Motzstraßenfest. Hier fand ich die Begine und das RuT. Durch fleißiges Kartenspielen, aber auch Schnattereinlagen, lernte ich neue Frauen kennen, mit denen ich meine Freizeit verbrachte. Kleine Wanderungen, Ausstellungen und Ausflüge in andere Städte oder gemeinsame Kochabende sind sehr beliebt. Ich habe es damals sehr bedauert, dass ich durch meine Abstinenz mehrere sehr schöne Orte der Lesbenkultur nicht mehr kennenlernen konnte. So war ich heilfroh, dass es die Begine noch gab und gibt. Die Begine war für mich das niederschwelligste Angebot an Frauen unter sich zusein, dass es noch gab.
Eines Abends nun, wir waren wieder spazieren gewesen, saß ich noch in der Begine zum Schwatzen. Und da war sie, eine wunderschöne Frau, eine echte Erscheinung, die mir auf Anhieb gefiel. Leider kam sie nie wieder. Spricht vielleicht nicht für mich. Dick und unförmig wie ich mich fühlte, werde ich wohl auch ausgesehen haben. Aber diesem Erdbeben von Frau musste gehuldigt werden.
Sie erzählte viel über die USA, in denen sie eine Weile gelebt und gearbeitet hatte und über ihre Freundin, die sie dort nicht heiraten konnte. Nur deshalb seien sie nach Deutschland gekommen, aber auch weil ihr Aufenthaltsrecht abgelaufen war. „Was tun?“, fragte sie. Die Freundin konnte kein Wort Deutsch und fühlte sich hier auch nicht wohl. Die Trennung stand an? Vielleicht. Ich hatte keinen Rat parat, also nutzte ich einen Aufhänger. Sie sagte: „Ich kenne Berlin noch nicht.“ „Aber ich.“, stieg ich drauf ein. Während ich noch überlegte, was Mensch so an Berlin zeigen kann, schnatterte sie weiter über die USA und ihre Freundin. Sie nahm das Angebot nicht an. Meine Auserkorene hatte, glaub ich, gar keine Lust auf eine Trennung und eine neue Frau, selbst wenn ich ihr gefallen hätte. Wie auch immer, sie kam nicht wieder. Vielleicht bin ich ihr ja auch nur auf den Geist gegangen. Trotzdem war es ein netter mir sehr einprägsamer Abend.

Leider habe ich nie wieder so eine schöne Frau kennengelernt, aber ich habe viele sehr nette und angenehme Frauen in der Begine, aber auch im RuT kennengelernt und mir damit einen neuen Freundinnenkreis eröffnet, den ich nicht mehr missen will.
Die Spannung immer wieder andere Frauen kennenzulernen bleibt jedenfalls und ich sehe optimistisch in die Zukunft.

Auf das die Begine noch lange bleibt! IKL

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