Dagie Brundert

Über radikale Änderungen und das Vergnügen daran

Ich erinnere mich an zwei Momente in meinem kleinen Kinderleben, die schon früh meine Wege vorwegnahmen:

Bild 1: ich sitze auf dem Klo und starre die Wand an. Die Wand ist halbhoch mit Holz getäfelt und voller Muster. Ich sehe ganz klar tolle Welten in ihr, momentan ein Pferd im Sprung. Es kann sein, dass mir morgen schon was anderes ins Auge piekst!

Bild 2: meine Mutter muss mir von einem älteren Nachbarmädchen unbedingt immer ihre vollen Schulhefte, die sie nicht mehr benötigt, bringen. Ich brauche sie dringend zur Umgestaltung! Mit meiner ungefährlichen Kinderschere schneide ich Text- und Bildteile aus und arrangiere sie um, wie es mir gefällt.

Seit meinem relaxten Studium an der HdK laufe ich auf zwei Gleisen und das gefällt mir gut. Ich bezeichne mich als halbe Künstlerin. Halb Broterwerb, halb kunstexperimentierend.

Durch Zufall bin ich in meinen ersten dicken Job hineingeraten: Layouterin in der taz. Was hab ich ihn geliebt! Hektische Redakteurinnen, schnelle Entscheidungen, was gut aussieht, Bildauswahl, passt, raus damit. Und es gab noch nicht einmal Mäuse! Also, ich meine: Computermäuse, nicht Geldmäuse.

Nebenher, auf meinem anderen Gleis, bin ich eine analoge Bildermacherin. Habe vor über 30 Jahren den Zauber der Super-8-Filmerei entdeckt, entwickelt mittlerweile, da fast alle Labors dichtgemacht haben, meine Filme selber, und das auch noch hauptsächlich mit biologischem Entwickler! Da sind noch Welten zu erforschen!

Irgendwie bin ich bei Zeitungen geblieben, es war nicht so geplant, aber es ist das, was ich kann: Bild und Text kombinieren. Ich hab jetzt eine Menge Berliner Zeitungen durch: die schon erwähnte taz als erste Lehrerin, die Zweite Hand (gute Bezahlung, coole Kolleginnen!), die Zitty (toller Inhalt, coole Kolleginnen!) und den Tagesspiegel (schlechte Bezahlung, lähmende Hierarchie, miesester Job ever!).

Und was passiert mir da? Der Tagesspiegel schmeißt mich raus, endlich, ich muss nicht selber kündigen, das erledigen die für mich und schmieren mir sahnetechnisch auch noch eine faire Abfindung um die Schnute.

Jetzt steh ich hier und summe leise “art for all and all for art”, nie wieder für andere arbeiten, nur noch für mich. Naja, manchmal doch für andere … ich hab mich so dermaßen in alte, analoge Entwicklungsmethoden eingefuchst, dass ich es auch für andere Leute gegen Geld mache, weil es ja eben keine Labors mehr gibt, die abgelaufene Filme annehmen. Ich bin ein One-Woman-Lab!

Es fühlt sich gut an, euphorisierend, eine neue Zeiteinteilung ausprobierend. Ganze Künstlerin, nicht nur mehr halbe. Wo kommt das Geld jetzt her? Die Abfindung ist mein Polster, meine Sicherheit. Ich werde versuchen, sie auf Jahre aufzuteilen.

Ich steige bei www.patreon.com ein, eine geniale Plattform (finde ich), die einem wie Crowdfunding Geld zuschustert, aber auf einer monatlichen, regelmäßigen Basis. Leute unterstützen mich mit 3 oder 5 oder 10 oder mehr € (plus MwSt) und patreon.com behält 8% für die Organisation ein. Finde ich fair und sehr spannend. Und die Unterstützerinnen bekommen natürlich auch etwas dafür! Was das ist, kann man selber bestimmen: exklusiver Blog (die Künstlerin berichtet aus ihrem Leben ;-), handgezeichnete Postkarte, hand- und bioentwickelter Fotoabzug in meinem Fall … schau mal:

www.patreon.com/dagiebrundert

!

Es könnte funktionieren: von meiner zu Kunst leben. Ich habe ein sanftes Erntegefühl (ich finde das durchaus angemessen für Ü50): ich hab soooo viele Filme in meinem Leben gemacht, so viele Bilder, und fast täglich kommen neue dazu (wann immer ich unterwegs bin, habe ich nicht nur meine kleine Super-8-Kamera, sondern auch meine Illycamera dabei: aus einer Illykaffeedose hergestellt! Eine Camera Obscura, eine Lochkamera, bestückt mit einem Stück Planfilm innen, das heißt: 8 x 12 cm großem Negativ). Ich fange den Alltag ein, Berlin, Umgebung, Schönheit im Banalen, Witz und seltsame Perspektiven. Schau hier: www.pinholedagie.wordpress.com

Kann man diese Bilder verkaufen? Ich weiß es noch nicht, aber ich werde es herausfinden: ich bastel gerade an meinem Onlineshop, denn “echte” Galerien sind vielleicht doch nicht so mein Leben, schon gar nicht in Pandemiezeiten … Ich glaube, ich werde in meiner kleinen Winterhöhle hier den “Launch” des Shops … hey, das klingt wie “Lauch” … hat eigentlich schon mal jemand in Lauchgemüse entwickelt? Ich schweife mal kurz ab: in jeder Pflanze gibt es Phenole. Diese sind kräftige Molekülverbindungen, die der Pflanze ihr Farbe, ihren Duft, ihren Geschmack und allgemein: ihre Überlebensstärke geben. Und als Zusatzbonus können sie noch Silbersalze in metallisches Silber umwandeln: der Grundbaustein der Schwarzweißfotografie! Ach so, ja, den “Launch” meines Shops. Wahrscheinlich im März – die Adresse gibt es schon: www.dagiespictures.bigcartel.com

Danke fürs Lesen und bleibt gesund!

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